Wat haste jemacht … vom Erzeuger zum Freund

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Ich war 4 Jahre, da verließ mein Vater die häuslichen Gefilde – will sagen, meine Eltern ließen sich scheiden. Nun ja, auch von der Zeit davor ist mir von meinem Erzeuger nicht viel in prägender Erinnerung geblieben und so kann ich nicht von einer engen Bindung zu ihm zur Kinderzeit und in meiner frühen Jugend reden. Das war bei meiner 2 Jahre älteren Schwester anders. Für sie war ihr Vater schon viel mehr die Bezugsperson gewesen, als für mich – verständlich.

Nach der Trennung meiner Eltern und anfänglicher Schwierigkeiten bei der Reglung des Besuchsrechtes bzw. deren Ausprägung, kanalisierte sich das schließlich zu einem jahrelangen Standardprozess. Dieser sah im Groben so aus, dass mein Vater zu den jeweiligen Geburtstagen und zu Weihnachten (in der Regel danach) zu einem ca. 2 stündigen „Kaffeeplausch“ antrat und die Geschenke übergab. Über die Sinnhaftigkeit eines solchen sehr förmlichen und steifen Treffens will ich hier nicht befinden, es war halt so und Punkt.

Der unbewusste „running Gag“ meines Vaters war, das er mir während meiner Schulzeit zu jedem Geburtstag eine neue Ausgabe eines speziellen Russischlehrbuches mit einer Gummischallplatte mitbrachte. Damit sollte ich mich bzw. meine Leistungen im Fach Russisch (Pflichtfach in den Schulen der DDR) verbessern. Ich wusste damals schon, was das für ein sinnloser Versuch war und so verschwand das jeweilige Buch nach der Übergabe sofort ins Nirvana unseres Kinderzimmers und hat somit das Schicksal von Atlantis gehabt, viele reden darüber nur keiner hat es je wieder gesehen. 😉

Eigentlich konnte ich mit der Situation ganz gut umgehen und so wirklich Fehlen tat mir mein Vaters nicht – jedenfalls nicht Deutlich spürbar. Die einzige Ausnahme war, wenn meine Mitschüler mich als „vaterlos“ bezeichneten und mit ihren ach so tollen Vätern angaben. Um mich aus dieser Situation zu befreien, habe ich dann immer gesagt, dass ich NATÜRLICH auch einen Vater habe, ihn auch kenne, nur dass er eben nicht bei uns wohnt. Für mich damals eine Totschlagargumentation … wie heute auch. 😉

Das ging nun so ein paar Jahre lang, bis es um meine Berufswahl ging. Da erfuhr er durch ein Telefonat mit meiner Mutter, dass ich wohl in die Gastronomie gehen würde.

Mein eigentlicher Berufswunsch des Kunstschmieds konnte leider nicht realisiert werden, da der potenzielle Ausbildungsbetrieb, der eigentlich eine Kunstwerkstatt eines renommierten Berliner Kunstschmieds war, immer nur einen Lehrling pro Jahr ausbilden durfte und dieser Platz war durch einen Anderen belegt. Heute würde man sich ein Jahr lang anders beschäftigen (freiwilliges soziales Jahr oder einfach nur „Matte), Bei uns im Arbeiter- und Bauernstaat gab es die Bewerbungskarte, die genau nur in dem Jahr galt, wo der Wechsel von der Schule in die Ausbildung anstand.

Mit dieser Berufsentscheidung hatten mein Vater und sein „aktuelles Umfeld“ so ihre Probleme. Diese Probleme durften mein Vater und seine zweite Frau gern für sich behalten – ich zog den schwarzen Anzug an. 😉

Erstaunlicherweise war genau das dann aber irgendwie die Initialzündung zwischen uns beiden. Mein Vater nahm danach immer mal wieder direkt Kontakt zu mir auf und bat mir seine Hilfe an. Eines Tages saß er unvermittelt im Restaurant meines Ausbildungsbetriebes, das legendäre „Linden-Corso“ an der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße. Er hatte wohl vorher mit meinem Oberkellner oder war es mein Lehrmeister rumgemauschelt, dass er auch wirklich einen Tisch in meinem Revier bekam. Nachdem ich mich vom Schock erholt hatte, lief aus meiner gastronomischen Sicht alles perfekt und auch das Feedback meines „Spezialgastes“ fiel überraschenderweise nicht nur gnädig sondern einigermaßen positiv euphorisch aus.

Bei diesem Treffen der besonderen Art, erinnerte er mich daran, dass er doch ebenfalls gleich in der Nähe arbeitet und ich ihn doch dort auch gerne einmal besuchen könnte.

Mein Vater war seiner Zeit der Chefredakteur einer Eisenbahnerzeitung und im Transpress-Verlag tätig. Ich nahm sein Angebot dankend an und ja, ich besuchte ihn hin und wieder.

Am Ende meiner Ausbildung kam dann ein besonderes Event auf mich zu. Mir war dieses spezielle Treffen vom Hörensagen nicht neu, denn das gleiche Treffen hatte meine (große) Schwester ebenfalls am Ende ihrer Ausbildung und sie berichtete, im Rahmen einer Schwester/Bruderkonversation doch recht angenehm darüber. Allerdings ließ sie die entscheidenen Details weg, ob nun bewusst oder unbewusst … egal.

Mein Vater lud in Restaurant Sofia in der Leipziger Straße zum festlichen Abendessen mit allen Zipperlein und Zapp.

Nach dem Essen und etwas Smalltalk kam es dann zum eigentlichen „Tagesordnungspunkt“ des Treffens. Er erhob das Wort und fackelte nicht lange.

O-Ton (Gedächtnis):

„Ich, der sich nun nach Deiner erfolgreichen Ausbildung von Rechtswesen aus der Zahlmeisterrolle verabschieden darf, möchte Dir anbieten, dass wir unsere Verhältnis, wenn Du möchtest, als Freunde weiterführen.“

Ich war ja vorgewarnt, aber als dann diese Worte fielen, war ich dennoch platt. Wie er diesen Satz aussprach – das klang es eben nicht nach einer Weiterführung unserer bisherigen Beziehung (denn Freundschaft, würde ich das ja nun wahrlich nicht nennen), sondern eher nach dem für mich sehr viel positiveren Neubeginn zwischen Vater und Sohn.

Ich erwiderte, dass ich ebenfalls höchstes Interesse an dieser Art unseres zukünftigen Miteinanders hätte und ging auf meinen Vater zu und… umarmte ihn.

Er und auch ich zeichneten uns bis dahin nun wahrlich nicht als Emotionsbolzen aus, aber in diesem Moment konnte ich einfach nicht anders – ich hatte das Gefühl, meinem Vater ging es ähnlich und wir beide taten viel dafür, dass der jeweils andere die feuchten Augen nicht bemerkte.

Natürlich war nach diesem Treffen nicht alles gleich anders, aber die Weichen waren gestellt und zurückblickend kann man sagen, es war ein wirklicher Beginn.

Über die Jahre kamen wir immer enger zusammen und er nahm ab diesem Moment immer größeren Anteil an meinem Leben.

Später nahm er meine eigene kleine Familie mit großer Herzlichkeit auf, war für alle immer ein guter Ansprechpartner in allen Lebenslagen, ein sehr großzügiger Mensch und ein toller Opa/Uropa für die Kindeskinder und deren Kinder.

Ich bzw. wir hätten so gerne noch so viel mit ihm erleben und teilen wollen, doch im September 2017 verstarb mein Vater. Ich war sehr dankbar, ihn in seinen letzten Stunden am Sterbebett begleiten zu dürfen und mich damit auf eine besondere Art von ihm verabschieden zu können.

Ich „begegne“ meinem Vater jeden Morgen, wenn ich aus der Tür gehe. Da steht ein Boxer (ein Pokal aus seiner aktiver Zeit als Boxer) in meinem Vorgarten.

Dieser Boxer steht einerseits als Sinnbild für meines Vaters Leben, denn er hat sich aus ärmlichen und schwierigen familiären Verhältnissen „hochgeboxt“, sondern auch für unseren „Kampf“ der Annäherung, den wir am Ende beide gewonnen haben.

Danke Karli.


Hier gehts zur Storyline von „wat haste jemacht mit dein leben“


P.S.
Frage: Warum machst Du das?
Antwort: Damit ich mir später meine eigenen Geschichten aus meinem eigenen Leben durchlesen kann, falls ich sie vergessen haben sollte.
– also purer Egoismus 😉


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